Festrede von OB Tobias Schick zum 50-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft Cottbus/Chóśebuz – Zielona Góra und zum 30-jährigen Jubiläum der Partnerschaft Cottbus/Chóśebuz – Gelsenkirchen

Sehr geehrter Herr Vorsitzender des Stadtrates von Zielona Góra, Adam Urbaniak,
sehr geehrter Herr Vizepräsident der Stadt Zielona Góra, Dr. Jarosław Flakowski
liebe Kollegin Karin Welge,

lieber Wolfgang Bialas, lieber Alt-OB Waldemar Kleinschmidt,

verehrte Stadtverordnete, liebe Gäste, Freunde und Weggefährten,

ich freue mich außerordentlich, sie alle zu diesen besonderen Jubiläen – es sind ja derer zwei – hier in Cottbus/Chóśebuz begrüßen zu dürfen. Es sind zwei Verbindungen, die unsere Stadtgeschichte entscheidend mitgeprägt haben und bis heute für europäische Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene stehen.
Ganz besonders freue ich mich über die Anwesenheit von Persönlichkeiten, die sich seit vielen Jahren für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in unserer Region engagieren: Czesław Fiedorowicz, Präsident des polnischen Gemeindeverbands der Euroregion „Spree–Neiße–Bober“ sowie Carsten Jacob, Geschäftsführer der Euroregion „Spree–Neiße–Bober“.

Ich halte es für immens wichtig, sich in Zeiten von Kriegen, gewalttätigen Auseinandersetzungen, immer neuen Schlachtfeldern sowie den hoch emotionalisierten politischen wie gesellschaftlichen Debatten zu treffen, sich gemeinsam auszutauschen und wo nötig zumindest den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Jedes Mosaiksteinchen ist wichtig, um daraus ein ganzes Bild entstehen zu lassen. Städtepartnerschaften sind im internationalen Maßstab betrachtet ein solches Mosaiksteinchen, mit denen verschiedenen Regionen, Bräuchen, Ansichten oder Lebensentwürfe zusammengeführt werden. Und das ohne, dass sie dem jeweiligen Anderen abverlangt werden oder zur Bedingung der Partnerschaft gemacht werden.

Einmal abgesehen davon, dass unsere partnerschaftlichen Beziehungen ewig jung bleiben, kommen sie doch aus unterschiedlichen Zeiten, ja Epochen. Die eine Partnerschaft besteht seit 50 Jahren, sie ist älter als ich bin und ich könnte auch sagen, sie bestand schon vor dem epochalen Umbruch der Jahre 1989/90; die andere ist 30 Jahre jung und entstammt dem „Danach“ und zunächst einer innerdeutschen Verständigung und Annäherung. Alles in allem galt und gilt es, Grenzen zu überwinden und gesellschaftliche Entwicklungen gemeinsam voranzubringen, ohne die Eigenheiten des Einzelnen in Frage zu stellen.

Die Partnerschaft zu Zielona Góra war ursprünglich eine Kooperation zwischen Regionen, den Bezirken der DDR und den Wojewodschaften im Westen Polens. Dass diese Kooperation nach dem politischen Umbrüchen 1990 als Städtepartnerschaft zwischen Cottbus/Chóśebuz und Zielona Góra etabliert und weitergeführt wurde, war ein wichtiges und Weg weisendes Zeichen. Begründet wurde die entsprechende Erklärung beider Städte und ihrer endlich frei gewählten Parlamente im Jahr 1991. Also in einer Zeit, da sich das wiedervereinigte Deutschland nicht einigeln wollte, sondern sich der Welt weiter offen zeigte sowie Austausch und Gemeinsamkeiten anstrebte. Niemand sollte mehr Angst haben vor einem erstarkenden Deutschland. Damals wie heute. Daraus hat sich unsere aktivste Städtepartnerschaft entwickelt, die wir nicht mehr missen möchten.

Zahlreiche grenzüberschreitende Projekte wurden seither gemeinsam verwirklicht – viele davon mit Unterstützung durch INTERREG-Förderung:
Dazu zählen die Sanierung historischer Parkwege, die Restaurierung des Venusbeets und des Rehgartens im Branitzer Park, die Revitalisierung des Parks Zatonie in Zielona Góra, die Modernisierung des Planetariums, der Botanische Garten in Zielona Góra, die Zusammenarbeit mit der Zooschule Cottbus/Chóśebuz, und nicht zuletzt die Entwicklung des Raubtierhauses im Tierpark Cottbus/Chóśebuz.
Ein besonderer Meilenstein war die Gründung des Europäischen Parkverbunds Lausitz im Jahr 2010, an dem sowohl deutsche als auch polnische Parkanlagen beteiligt sind. Mit dem Beitritt der Anlage in Zatonie im Jahr 2018 wurde ein wichtiges Symbol grenzüberschreitender Identität gesetzt – verbunden mit nachhaltigen Effekten in Bildung, Tourismus und Kulturerbe.
Und auch der Blick in die Zukunft zeigt: Unsere Städte gestalten den Wandel gemeinsam.
Mit dem neuen INTERREG-VI-A-Projekt „Green Energy“ arbeiten Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft an Zukunftsthemen wie Wasserstofftechnologie, intelligenter Energiespeicherung und Energieeffizienz.
Ein weiteres Projekt widmet sich der Luftqualitätsüberwachung und -vorhersage – ein praktischer Beitrag zu nachhaltiger Stadtentwicklung.
Gleichzeitig ist uns der zwischenmenschliche Austausch ein zentrales Anliegen. Das Projekt „Vertrauen durch Sprache“ bringt Menschen aller Generationen zusammen und stärkt das gegenseitige Verständnis – insbesondere zwischen Kindern, Jugendlichen, Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Behinderung.
Unsere Partnerschaft ist strategisch aufgestellt: Jährlich schließen Cottbus/Chóśebuz und Zielona Góra eine Partnerschaftsvereinbarung, aktuell unter dem Dach der Zukunftsvision 2030.
War die deutsch-deutsche Partnerschaft mit Saarbrücken, begründet 1987, noch der Versuch einer Annäherung der DDR an den Westen – im Zuge von Strauß-Kredit und dem Bemühen um internationale Anerkennung und Normalisierung, entsprang die Partnerschaft zu Gelsenkirchen im Jahr 1995 dem auch heute noch so immens wichtigen Gedanken des gegenseitigen Austausches und der gegenseitigen Hilfe. Cottbus/Chóśebuz war gerade die erste Stadt im Osten Deutschlands, die eine Bundesgartenschau ausrichtete. Nicht zuletzt – Waldemar Kleinschmidt und Wolfgang Bialas erinnern daran als Zeitzeugen – übergab Cottbus damals den Staffelstab der Bundesgartenschau an Gelsenkirchen. Der Slogan „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ war abgelegt, man lernte dann von Nordrhein-Westfalen. Ob das Siegen dabei gelungen ist, da gehen die Meinungen auch 30 Jahre später auseinander. Aber wir können sagen: Die Zeit, die Unterstützung, die Partnerschaft waren und sind ein Gewinn.

Uns verbindet viel, gerade was den Umbruch von Regionen und die immensen Auswirkung auf die prägenden Städte dieser Region angeht. Wir können da voneinander lernen und wollen uns nicht übereinander belehren. Unser Blick vom Rande Deutschlands geht dabei sowohl nach Westen als auch nach Osten. Wir verstehen uns hier als Scharnier und – buchstäblich sogar – als Gleiskreuz zwischen den Welten.

Die Stadt Cottbus/Chóśebuz ist in ihrer jüngeren Geschichte insgesamt neun Städtepartnerschaften eingegangen. Sie merken schon, ich sage eingegangen und nicht pflegen dieser neun Partnerschaften. Denn wir wissen, dass die Pflege gar nicht so einfach ist. Die Zeit ist über einiges hinweggegangen. Dennoch haben wir gute Kontakte und inspirierende Begegnungen. Das gilt für das bereits erwähnte Saarbrücken. Wir führen eine außerordentlich lebendige Beziehung zum französischen Montreuil, unserer ältesten, seit 1959 bestehenden Kooperation. In diesem Jahr waren wir zu einem, man kann es so nennen, Antrittsbesuch meinerseits im slowakischen Kosice. Wir haben wieder erste Fühler ausgestreckt nach Grosetto in Italien. Wir werden sehen, was mit dem bulgarischen Targowischte machbar ist. Mit diesem Namen unserer Partnerstadt verbinden viele Cottbuserinnen und Cottbuser aufgrund eines damals wohlschmeckenden Rotweins namens Rosenthaler Kadarka sowie eines nach dem Ort benannten Restaurants am Altmarkt meist weinselige Erinnerungen. Im Bunde ist zudem das englische Nuneaton & Bedworth.

Die ersten unserer Partnerschaften, Montreuil und Grosetto, sind zu Stande gekommen, weil die DDR-Regierung eine Öffnung suchte, ohne die Mauer einzureißen, und sie fand dazu Partner in den oft kommunistisch regierten Städten Frankreichs und Italiens. Diese vermeintliche Weltoffenheit war aber eine wie in der DDR bis 1989 üblich sehr eingeschränkte.

Man könnte meinen, mit den Umbrüchen von 1989 und 1990 und der erkämpften Freiheit und Freizügigkeit sollte sich der Sinn von Städtepartnerschaften erledigt haben. Aber weit gefehlt. Wir wollen und brauchen diesen Austausch gerade in diesen aufgewühlten Zeiten. Und wenn jemand mitgezählt hat, wird gemerkt haben: es fehlt noch eine Partnerstadt. Wir haben die Partnerschaft zum russischen Lipezk nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht beendet, wohl aber auf Eis gelegt. Mein Amtsvorgänger hat kurz nach Ausbruch des Krieges und des russischen Angriffs an die Stadtspitze in Lipezk geschrieben und unsere Bereitschaft erklärt, Gesprächskanäle auf unterster Ebene offen zu halten, um sich auszutauschen. Um beizutragen zum Frieden und der Verständigung. Nicht, um uns gegenseitig zu belehren, sondern um sich vielleicht ein wenig besser zu verstehen. Wir wollen dabei unsere klare Position gegen diesen Krieg gegen die Ukraine, gegen das Infragestellen territorialer und staatlicher Souveränität betonen und deutlich machen. Leider blieb das Schreiben damals unbeantwortet. Wir haben mit Unterstützung unsrer Partnerstädte Zielona Góra und Kosice deren ukrainischen Partnern geholfen. Hier zeigt sich der ganz praktischen Sinn und der Nutzen kommunaler Kooperationen.

Wir wissen heute nicht, wie sich die Beziehung zu Lipezk entwickeln wird. Genauso wenig wie wir wissen, wie sich der Krieg dort und an so vielen andere Schauplätzen auf der Welt weiter entwickeln wird. Gibt es diplomatische Lösungen, gibt es Verhandlungen über einen gerechten Frieden für die Ukraine oder hält der Kriegszustand noch lange an? Was geschieht gerade im Nahen Osten, zwischen Israel und dem Iran oder zwischen Israel und dem Hamas-terror?

Mein Wunsch ist es, und ich denke, daran sind wir uns alle einig, dass von diesem unserem Jubiläumstreffen heute der Appell ausgeht, dass Frieden wird auf der Welt, dass der Frieden gesichert also verteidigt wird, dass die Souveränität der Völker geachtet wird, dass internationales Recht seine Wirkung entfalten kann, und dass die Völker, trotz unterschiedlicher Lebensauffassungen, Werte und Ziele friedlich miteinander leben können. Mein Wunsch ist, dass Europa wieder zu mehr Gemeinsamkeit findet, universelle Werte und Rechte betont und achtet sowie wehrhaft bleibt. Und das wir wieder zu offenen Grenzen innerhalb der EU zurückfinden und die dafür notwendigen Voraussetzungen beispielsweise an den Außengrenzen unser Gemeinschaft schaffen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

unsere Städtepartnerschaften sind – nicht zuletzt nach den jeweiligen Wahlen in unseren Kommunen – immer wieder neu auszurichten. Dabei ist auszuloten, was wir miteinander wollen und was wir miteinander schaffen. Die Partnerschaften leben, das wissen wir, von der Hingabe der Bürgerinnen und Bürger. Sie leben durch den Austausch von Vereinen, von Gruppierungen, von Institutionen und sicher nicht zuletzt auch unserer Behörden und Verwaltungen. Das ist neben dem steten Erfahrungsaustausch von Verwaltungen die wohl vornehmste Aufgabe, der wir uns stellen. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir die Bürgerinnen und Bürger unserer Städte, wo immer es auch geht, zusammenführen. Wir ermöglichen die Begegnungen zwischen Menschen, die wir am Ende hoffentlich in allen Partnerstädten und überall auf der Welt sind und bleiben. Getreu den mahnenden Worten der jüngst verstorbenen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer: Seid Menschen! Und stehen wir als solche über Grenzen hinweg zusammen!

Ich danke Ihnen.